Schutz vor Lärm und Erschütterung bei der Schienenanbindung der Fehmarnbeltquerung: Was steckt drin im Bundestagsbeschluss?

232 Millionen Euro für Lärm- und Erschütterungsschutz: Der Deutsche Bundestag hat eine Entschließung der Regierungskoalition zum Bahnprojekt Lübeck – Puttgarden beschlossen. Damit ermöglicht die SPD-Bundestagsfraktion deutlich mehr Schutz vor Lärm und Erschütterungen.

Seit September habe ich mich sehr intensiv mit der Schienanbindung der Fehmarnbeltquerung beschäftigt. Ostholstein und Lübeck hatten zu Recht gefordert, dass der Bund sie stärker vor Lärm und Erschütterungen durch die neue Schienentrasse schützen soll. Das Dialogforum „Feste Fehmarnbeltquerung“ hat sehr kompetent und konstruktiv Forderungen aufgestellt. Wir haben uns mit diesen Forderungen detailliert beschäftigt und viele Gespräche mit Expert*innen geführt. Für uns als SPD-Fraktion war schnell klar, dass wir die meisten Wünsche der Region ermöglichen wollten. Im Juni konnten wir auch die Union davon überzeugen. Am 2. Juli haben wir dann im Deutschen Bundestag ohne eine einzige Gegenstimme 232,1 Millionen Euro für Lübeck und Ostholstein beschlossen. Das Geld fließt in mehr Lärm- und Erschütterungsschutz, Tieferlegungen und Umfahrungen. Das Besondere: für keine dieser Maßnahmen gibt es einen Rechtsanspruch, sie sind „übergesetzlich“. Damit setzen wir ein klares Zeichen, dass sich Bürgerbeteiligung lohnt – besonders, wenn sie so vorbildlich läuft wie im Dialogforum.

Neben vielen positiven Rückmeldungen gab es auch Kritik an diesem Beschluss. Unterstellt wurde, die Koalition habe beantragte Mittel gekürzt, einige Forderungen vollständig gestrichen und insgesamt sei der Antrag ein schlechtes Ergebnis für die Region. Diese Aussagen sind allerdings falsch. Vorab zusammenfassend: Das Dialogforum hat keine Mittel beantragt, da es keinen rechtlichen Anspruch gibt. Das Dialogforum hat fünf Kernforderungen aufgestellt. Die Deutsche Bahn AG hat diese Maßnahmen bezüglich Wirksamkeit und Kosten bewertet.

Lassen Sie uns im Folgenden detailliert Stellung nehmen zu den einzelnen Forderungen des Dialogforums und zum parlamentarischen Prozess mit dem Antrag als Ergebnis.

Es gibt keinen Automatismus und keinen Rechtsanspruch auf Umsetzung der Forderungen. 

Die im Dialogforum in einem vorbildhaften Prozess strukturierter Bürgerbeteiligung aufgestellten Kernforderungen sind für uns als SPD-Bundestagsfraktion maßgebend für die Erarbeitung eines Antrags im Deutschen Bundestag gewesen. Es gab aber zu keinem Zeitpunkt eine Vereinbarung oder eine Zusage dafür, dass diese Forderungen vom Parlament ungeprüft eins zu eins umgesetzt werden.

Unser Anspruch als Parlamentarier, Gesetzentwürfe, Vorlagen und Stellungnahmen nicht nur „abzunicken“, sondern uns dazu eine eigenständige Meinung zu bilden, gilt natürlich auch für die Kernforderungen des Dialogforums.

Dass es uns gelungen ist, mit der Unionsfraktion einen Kompromiss zu finden, der über 230 Millionen Euro zusätzlich vorsieht – mehr als 150 Millionen Euro davon für Lärm- und Erschütterungsschutz – ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein hart erarbeiteter Erfolg. Das sieht übrigens auch der Leiter des Dialogforums Dr. Christoph Jessen so, der den Antrag als „Krönung der gemeinsamen Arbeit im Dialogforum“ beschreibt.

Die im Dialogforum in einem vorbildhaften Prozess strukturierter Bürgerbeteiligung aufgestellten Kernforderungen sind für uns als SPD-Bundestagsfraktion maßgebend für die Erarbeitung eines Antrags im Deutschen Bundestag gewesen. Es gab aber zu keinem Zeitpunkt eine Vereinbarung oder eine Zusage dafür, dass diese Forderungen vom Parlament ungeprüft eins zu eins umgesetzt werden.

Unser Anspruch als Parlamentarier, Gesetzentwürfe, Vorlagen und Stellungnahmen nicht nur „abzunicken“, sondern uns dazu eine eigenständige Meinung zu bilden, gilt natürlich auch für die Kernforderungen des Dialogforums.

Dass es uns gelungen ist, mit der Unionsfraktion einen Kompromiss zu finden, der über 230 Millionen Euro zusätzlich vorsieht – mehr als 150 Millionen Euro davon für Lärm- und Erschütterungsschutz – ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein hart erarbeiteter Erfolg. Das sieht übrigens auch der Leiter des Dialogforums Dr. Christoph Jessen so, der den Antrag als „Krönung der gemeinsamen Arbeit im Dialogforum“ beschreibt.

Forderungen des Dialogforums würden maximal 372,2 Mio. Euro kosten – nicht 595 Mio.

Die Kernforderungen des Dialogforums summieren sich auf 372,2 Mio. Euro. Später kam die Kernforderung zur Fehmarnsundquerung hinzu, die durch die Planung mit dem Absenktunnel und zusätzlichen 5 Mio. Euro für Lärmschutz erfüllt wird. Eine Forderung des Dialogforums in Höhe von 595 Mio. Euro ist uns nicht bekannt. Einzelforderungen, die nicht im Beteiligungsprozess des Dialogforums beschlossen wurden, sind in den Antrag zu übergesetzlichen Maßnahmen nicht eingeflossen. Dies wurde im für übergesetzliche Maßnahmen grundlegenden Bundestagsantrag „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“ (BT-Drs.: 18/7365), den der Deutsche Bundestag im Januar 2016 einstimmig beschlossen hat, klar festgelegt.

Der 7-Meter-Trog in Bad Schwartau wäre mit einem Entschließungsantrag nicht möglich gewesen. 

Obwohl also die Forderung nach einem 7-Meter-Trog in Bad Schwartau nicht Teil der Kernforderungen des Dialogforums war, haben wir als SPD-Bundestagsfraktion seit September Gespräche mit der Stadt Bad Schwartau und der Deutschen Bahn geführt, in der Hoffnung, einen Kompromiss zu finden. Weil sich die Kostenansätze der Bahn (290 Mio. Euro) und der Stadt (90 Mio. Euro) auf politischer Ebene nicht auflösen ließen, haben wir die jeweiligen Gutachter zu einem fachlichen Austausch gebeten. Im Ergebnis liegt die Kostendifferenz darin, dass die Stadt Bad Schwartau ihren Gutachter beauftragt hatte, lediglich die Kosten für das Bauwerk selbst zu untersuchen, nicht aber die weiteren durch ein solches Trogbauwerk anfallenden Kosten. Somit liegen die tatsächlichen Kosten für den von Bad Schwartau geforderten Trog sehr nahe an den 290 Mio. Euro der Bahn.

Diese Summe allein hätte das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) der Schienenhinterlandanbindung auf unter 1 gesenkt, so dass das Projekt als unwirtschaftlich gewertet worden wäre. In diesem Falle wäre ein förmliches Gesetz des Deutschen Bundestages möglich gewesen, das aber aus unserer Sicht weder die benötigte Mehrheit erhalten hätte noch verhältnismäßig gewesen wäre. Durch den 7-Meter-Trog würden zwar einige Schutzfälle zusätzlich gelöst werden, jedoch nicht alle. Hätten wir diesen Trog in den Entschließungsantrag aufgenommen, hätte das Bundesverkehrsministerium unseren Beschluss nicht umsetzen dürfen: Entschließungsanträge des Deutschen Bundestages sind nicht rechtsverbindlich. Das heißt, dass das Bundesverkehrsministerium weiterhin die normalen Vorgaben – dazu gehört das NKV – beachten muss.

Zudem hätte dessen Realisierung – dazu haben wir ausführliche Fachexpertisen eingeholt – zwangsläufig eine lange Vollsperrung der Schienenverbindung Lübeck – Kiel zur Folge gehabt. Das war für uns nicht akzeptabel. Die gleiche Strecke hätte mit Schienenersatzverkehr enorm viel zusätzliche Zeit gekostet. Und das hätte nicht nur Touristen und Tagesausflügler, sondern auch viele Pendler betroffen. Als SPD-Bundestagsfraktion wollen wir aber aus Klimaschutzgründen, dass der Umstieg vom Pkw auf den Zug attraktiver wird. Durch die Vollsperrung wäre ein gegenteiliger Effekt eingetreten. Das Land Schleswig-Holstein hat sehr deutlich gemacht, dass es eine solch lange Sperrung nicht gestattet hätte.

Der Vollschutz wird nicht von 170 auf 100 Millionen Euro zusammengestrichen. 

Das ist so nicht richtig. Das Dialogforum selbst hat für den Vollschutz in seiner Kernforderung 1.2 95,8 Mio. Euro angesetzt, für die Kernforderung 1.3 (niedrigere Immissionsgrenzwerte) 167,5 Mio. Euro. Weil zwischen Vollschutz und niedrigeren Immissionsgrenzwerten sehr starke Wechselwirkungen bestehen, reicht der Mittelansatz aus, um nahezu alle Forderungen zu erfüllen. Daher hat sich die Koalition auf die Kernforderung 1.2 verständigt und zusätzlich für drei Campingplätze, die nicht vom Vollschutz allein profitiert hätten, Mittel für zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen bereitgestellt, so dass hier insgesamt 100 Mio. Euro stehen. Hier wird also nicht beim Schutz vor Lärm gespart.

Die Gesamtlärmbetrachtung wird nicht gestrichen. 

Auch die Kernforderung 1.1 des Dialogforums – die Gesamtlärmbetrachtung– ist in unserem Antrag enthalten. Nur die Summe von 50 Mio. Euro nicht – aus gutem Grund: Es gibt zwar vielversprechende Ansätze, wie eine Gesamtlärmbetrachtung funktionieren könnte. Ein fertiges methodisch und rechtlich abgesichertes Konzept, dass bspw. auch die Kostenteilung zwischen Schiene und Straße, Zuständigkeiten, usw. regelt, gibt es aber nicht. Das haben wir uns sowohl vom Bundesverkehrsministerium als auch vom Bundesumweltministerium, das die Einführung der Gesamtlärmbetrachtung mit Nachdruck forciert, bestätigen lassen.

Als SPD-Bundestagsfraktion wollen wir, dass das Versprechen im Koalitionsvertrag eingelöst und eine rechtssichere Gesamtlärmbetrachtung noch in dieser Wahlperiode kommt. Der Passus im Koalitionsvertrag ist auf unseren Druck gegen die Union aufgenommen worden. Wenn dies vor dem Planfeststellungsbeschluss zur Hinterlandanbindung geschieht, gilt die Gesamtlärmbetrachtung auch für Ostholstein. Wenn es aber eine solche rechtsichere Regelung gibt, gibt es auch einen Rechtsanspruch auf Lärmschutz nach der Gesamtlärmbetrachtung und somit sind keine übergesetzlichen Mittel notwendig. Wenn Lärmschutz auf Grundlage der Gesamtlärmbetrachtung mehr kosten würde als 50 Mio. Euro, wäre auch dies durch den gesetzlichen Anspruch abgedeckt. Wir hätten es uns einfach machen und die Kernforderung des Dialogforums ungeprüft übernehmen können. Nur hätte dann niemand diese 50 Mio. Euro ausgeben können, wir hätten also Erwartungen geschürt, die nicht sofort erfüllbar gewesen wären.

Beim Thema Umfahrungen und Tieferlegungen wird nicht auf Kosten der Region gespart.

Die Kernforderung 3.2 des Dialogforums betrifft neben Bad Schwartau auch Sierksdorf. Der Bund übernimmt hier von insgesamt 24 Mio. Euro eine Mio. Euro. Denn im Detail geht es hier um zwei unterschiedliche Forderungen: Erstens eine Troglösung in Sierksdorf selbst für die genannte eine Mio. Euro, diese Maßnahme finanzieren wir mit einer Mio. Euro voll. Zweitens eine einseitige Steilwandlösung im Bereich Roge für 23 Mio. Euro. Für den Bereich Roge werden aber bereits in der Vorzugsvariante alle Schutzfälle gelöst. Die Begründung für diese Forderung ist, dass dadurch die Änderung des Landschaftsbildes geringer ausfällt. Das können wir durchaus nachvollziehen. Wir sehen hier aber das Land Schleswig-Holstein in der Finanzierungsverantwortung.

Der Bund lässt die Region auch bei kommunalen Aufgaben nicht allein.

Die Kernforderung 4.1 – Übernahme von kommunalen Anteilen an Eisenbahnkreuzungsmaßnahmen – wurde 2019 aufgestellt. Im Januar 2020 haben wir im Deutschen Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das unter anderem Kommunen von den Kosten nach § 13 EKrG vollständig befreit. Die in Kernforderung 4.1 geforderten 4 Millionen Euro werden von Bund und Land bereits auf Grundlage des Planungsbeschleunigungsgesetzes 2020 übernommen und sind daher voll erfüllt.

Die Kernforderung 4.2 wird fast vollständig erfüllt, indem das Land Schleswig-Holstein zugesagt hat 85 Prozent der 42,22 Mio. Euro zu übernehmen und der Bund zusätzliche 5 Millionen Euro bereitstellt.

Abschließend nochmals zusammengefasst:

  • Die Maßnahme Vollschutz wird mit 100 Millionen Euro für Lärmschutz an der Neubaustrecke nahezu komplett erfüllt.
  • Die Maßnahme Bestandslärmschutz und die Kernforderung Erschütterungsschutz werden mit 34,8 Millionen Euro und 26,2 Millionen Euro vollständig unterstützt.
  • Die Kernforderung Trassenverlauf wird mit 51 Millionen Euro für Tröge in Bad Schwartau und Sierksdorf umfangreich unterstützt und die Ortsumfahrung Ratekau wird mit 10 Millionen Euro vollumfänglich finanziert.
  • Die Kernforderung Fehmarnsundquerung wird mit dem Absenktunnel in der Vorzugsvariante und zusätzlichen 5 Millionen Euro für Lärmschutz an der neuen Fehmarnsundquerung komplett erfüllt.

Von den Kernforderungen des Dialogforums erfüllt unser Antrag also tatsächlich den größten Teil.

Damit haben wir erreicht, dass die Menschen geschützt werden und die Grundlagen für den Tourismus erhalten bleiben. Dass ohne eine gesetzliche Grundlage fast eine Viertelmilliarde Euro vor allem in zusätzlichen Lärm- und Erschütterungsschutz fließen, ist wirklich keine Selbstverständlichkeit und auch keine Nebensächlichkeit, sondern musste im parlamentarischen Raum in harten Verhandlungen erkämpft werden. Ich sehe dies als ein Beispiel für gelungene Beteiligung. Denn ohne die mehrjährige, kompetente und konstruktive Vorarbeit des Dialogforums, des Projektbeirats und der Runden Tische wäre vermutlich in allen Punkten die Vorzugsvariante umgesetzt worden.

Die Pressemitteilungen zum Thema von der SPD-Bundestagsfraktion sowie von mir als zuständigem Berichterstatter für Bürgerbeteiligung finden Sie hier:

Für weitere Informationen finden Sie den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Unterrichtung durch die Bundesregierung – Bericht über das Ergebnis der
Vorplanung und der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung zur Ausbaustrecke/Neubaustrecke Hamburg – Lübeck – Puttgarden (Bundestagsdrucksache 19/19500) vom 25. Mai 2020 hier: Entschließungsantrag SPD und CDUCSU Lübeck-Puttgarden. Die Kostenmatrix des Dialogforums finden Sie hier: Kostenmatrix Dialogforum