Eine Grafik zeigt einen Mitarbeiter der Fleischbranche und von der Decke hängen Fleischprodukte. Mit der Schrift: "Wir lassen euc nicht hängen. Schluss mit der Ausbeutung in der Fleischbranche § Grafik: shutterstock.com/Roland Roi

Arbeitsschutzkontrollgesetz beschlossen: Wir greifen durch gegen Ausbeutung in der Fleischindustrie

Arbeit prägt unser Leben – aber sie darf nicht die Gesundheit kosten. Alle müssen sich auf den Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz und die Eindämmung von Risiken verlassen können ─ unabhängig von Region, Branche und Herkunft. Unbezahlte Überstunden, überteuerte und schlechte Unterkünfte, mangelnde Hygiene, unrechtmäßige Anrechnung von Arbeitsmaterial und Verstöße gegen das Arbeitszeit- und Mindestlohngesetz. Das geht gar nicht.

Die eklatanten Mängel und Versäumnisse in der Fleischbranche wurden von massenhaften Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen offengelegt. Immer wieder haben wir in den vergangenen Monaten haarsträubende Berichte über die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen osteuropäischer Arbeitnehmer*innen auf deutschen Schlachthöfen gesehen. Die Menschen arbeiten oft bis zu zwölf Stunden am Tag bei Tiefkühltemperaturen. Sie leisten unter großem Druck harte körperliche, meist schlecht bezahlte Arbeit und bezahlen oft horrende Mieten für ein Bett.

Die Menschen kennen meist ihre Rechte nicht, sprechen kaum Deutsch und sind nicht organisiert. Daher haben sie es nicht leicht, sich gegen eine Trickserei mit dem Mindestlohn oder Wuchermieten zu wehren. Die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB bietet den Menschen daher ein niedrigschwelliges Beratungsangebot in ihrer Muttersprache, um ihnen zu helfen und sie unterstützen. Im Sommer habe ich mich im Kieler Gewerkschaftshaus mit Helga Zichner und Anna Smarzyk getroffen, die Beratungen auf Polnisch und Rumänisch durchführen. Sie haben mir geschildert, mit welchen Problemen die Menschen gerade in Corona-Zeiten konfrontiert waren und verdeutlicht, dass die Politik der Ausbeutung endlich einen Riegel vorschieben muss. 

Vor diesem Hintergrund freue ich mich sehr, dass es durch viel Hartnäckigkeit der SPD-Bundestagsfraktion kurz vor Weihnachten noch zu einem echten Erfolg gekommen ist: Heute Nachmittag hat der Deutsche Bundestag das Arbeitsschutzkontrollgesetz von Hubertus Heil beschlossen. Damit machen endlich Schluss mit Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie und sorgen für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten. Um die Rechte der Arbeitnehmer*innen zu stärken, werden Werkverträge im Kernbereich der Fleischindustrie ebenso verboten wie Leiharbeit beim Schlachten und Zerlegen. Wir setzen einheitliche Maßstäbe, die konsequente Aufzeichnung der Arbeitszeit wird verpflichtend und wir führen eine Mindestquote für Kontrollbesuche ein. Damit kann der Arbeitsschutz in der Praxis endlich sicher durchgesetzt werden. 

Bundesweit einheitliche Maßstäbe für die Überprüfungen des Arbeitsschutzes 

Die staatliche Arbeitsschutzaufsicht der Länder soll die Einhaltung des Arbeitsschutzes durch Betriebsbesichtigungen sicherstellen – allerdings geschieht dies aktuell nach Anzahl und Prüfgründlichkeit sehr unterschiedlich. Wir setzen nun für alle Branchen bundesweiteinheitliche Maßstäbe für die Prüfungen fest: Die Anzahl der zu besichtigenden Betriebe soll schrittweise deutlich erhöht werden, sie muss Jahr für Jahr gesteigert werden, bis eine Mindestquote für Kontrollbesichtigungen in den Betrieben erreicht ist. In Betrieben mit besonderem Gefährdungspotenzial müssen Kontrollschwerpunkte gesetzt werden. Ist die vorgegebene Prüfquote flächendeckend erreicht, soll unmittelbar geprüft werden, ob sie noch weiter angehoben und wie die staatliche Arbeitsschutzaufsicht noch weiter verbessert werden kann. Die Bundesregierung wird bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eine Bundesfachstelle „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ einrichten, die sich um eine verbesserte Datenlage und mehr Transparenz in Sachen Arbeitsschutzkontrollen kümmert. Und auch die Beschäftigten können sich darauf verlassen: Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit sind keine Glückssache. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann darum künftig in außergewöhnlichen Notlagen wie der aktuellen Pandemie zeitlich befristet besondere Arbeitsschutzanforderungen festlegen.

Arbeitszeitbetrug besser aufdecken und härter bestrafen

Der Bußgeldrahmen wird aktualisiert und der Höchstbetrag auf 30.000 Euro verdoppelt. Das Überschreiten etwa von Höchstarbeitszeiten ist keine Lappalie, es kann die Gesundheit gefährden. Gerade in der Fleischindustrie ist das aber leider keine Seltenheit. Auch Mindestlohnvorschriften werden in der Fleischindustrie häufig unterlaufen. Darum werden die Arbeitgeber dort zur manipulationssicheren elektronischen Aufzeichnung der Arbeitszeit verpflichtet. So kann die Einhaltung von Vorschriften effektiver kontrolliert werden und so stärken wir Arbeitnehmer*innenrechte. Diese Aufzeichnungen und weitere für eine Kontrolle des Arbeitszeitgesetzes nutzbaren Unterlagen sollen auch von den Arbeitsschutzbehörden der Länder eingesehen werden können.

Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen:

Um die organisierte Verantwortungslosigkeit in der Fleischindustrie für alle Arbeitnehmer*innen zu durchbrechen, verpflichten wir die Unternehmen in ihrem Kernbereich nur noch mit eigenen Beschäftigten tätig zu werden. Werkverträge und Leiharbeit werden dort verboten. Nur in der Fleischverarbeitung können per Tarifvertrag in engen Grenzen und auf drei Jahre befristet, abweichende Vereinbarungen getroffen werden. Das stärkt die Tarifbindung in einer Branche mit wenigen Tarifverträgen, gilt aber nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Leiharbeitskräften. Beim Schlachten und Zerlegen gilt auch diese Ausnahme nicht. Werkverträge werden für den gesamten Kernbereich verboten. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz setzen wir das Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft um, das die Bundesregierung am 20. Mai 2020 verabredet hat. Auch Arbeitgeber in der Fleischwirtschaft haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten. Undurchsichtige Strukturen führen jedoch bisher häufig dazu, dass Verantwortlichkeiten verwischt werden: So wurden etwa bei einem großen industriellen Betrieb die Kontrollen erheblich dadurch erschwert, dass die Arbeiter*innen bei bis zu 30 unterschiedlichen Werkvertragsunternehmen angestellt waren. Solche Konstruktionen werden künftig nicht mehr möglich sein. Beim „Kerngeschäft“ – dem Schlachten und der Zerlegung von Fleisch – dürfen künftig nur noch Arbeitnehmer*innen des eigenen Unternehmens eingesetzt werden. Werkverträge sind ab dem 1. Januar 2021 nicht mehr möglich und Leiharbeit ist ab dem 1. April 2021 in der Fleischwirtschaft verboten. Nur Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten sind davon ausgenommen.
Damit sich ausländische Arbeitnehmer*innen in ihrer Sprache über ihre Rechte und geltende Arbeitsschutzbedingungen informieren können, haben wir die Beratung „Faire Mobilität“ bereits im Rahmen der Umsetzung der geänderten EU-Entsenderichtlinie im Arbeitnehmer-Entsendegesetz verstetigt.

Verbesserungen bei der Unterbringung

Auch in anderen Branchen bestehen Missstände bei der Unterbringung von ausländischen Arbeitskräften. Beschämende Berichte zeigten zuletzt Behelfs-Container-Unterkünfte oder Zimmer, in denen ausländische Arbeitnehmer*innen zusammengepfercht auf wenigen Quadratmetern zusammenleben müssen – und dafür unverhältnismäßig viel bezahlen. Deshalb werden wir zur Verbesserung der Wohnsituation dieser Beschäftigten die Bestimmungen für die Unterbringung durch den Arbeitgeber überarbeiten und in die Arbeitsstättenverordnung neue branchenübergreifende Mindestanforderungen für Gemeinschaftsunterkünfte aufnehmen, die auch dann gelten, wenn die Unterkünfte außerhalb des Betriebsgeländes liegen. Außerdem werden wir die in vielen Branchen üblichen Koppelungen arbeitsvertraglicher Regelungen mit Vereinbarungen zur Unterbringung oder Vermittlung von Wohnungen durch den Arbeitgeber erfassen. Hierzu wird der Arbeitgeber verpflichtet, eine Dokumentation zu den von ihm oder in seinem Auftrag bereitgestellten Gemeinschaftsunterkünften zu erstellen, in denen Angaben zur Lage, den untergebrachten Beschäftigten sowie der jeweiligen Dauer der Unterbringung anzugeben sind. Auch mit einer flankierenden Änderung des Bundesmeldegesetzes werden die Kontroll- und Vollzugsmöglichkeiten der zuständigen Landesbehörden in diesem Bereich verbessert.