Persönliche Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten beim Sicherheitspaket

Persönliche Erklärung des Abgeordneten Mathias Stein zum Abstimmungsverhalten nach § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 18.10.2024 zum Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems (BT-Drs. 20/12805) sowie zum Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung (BT-Drs./12806) in der mit Beschluss des Ausschusses für Inneres und Heimat am 16.10. geänderten Fassung

Der Anschlag in Solingen hat uns erneut schmerzhaft die Gefahren des islamistischen Terrorismus vor Augen geführt. Er hat gezeigt, wie schnell aus Radikalisierung und Menschenfeindlichkeit Terror werden kann. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wir sind es den Opfern des Anschlags von Solingen und den Opfern aller terroristischen Anschläge in Deutschland schuldig, ohne Unterlass daran zu arbeiten, dass neue Anschläge und weitere Tote verhindert werden.

Der grausame Anschlag von Solingen hat viele Menschen in Deutschland gleichermaßen schockiert wie verunsichert. Den Wunsch nach politischen Maßnahmen, die für mehr Sicherheit sorgen, müssen wir als Abgeordnete ernstnehmen. Ich sehe darin allerdings auch eine Verpflichtung, mit Augenmaß vorzugehen und zielgerichtet nur die gesetzlichen Verschärfungen vorzunehmen, die wirklich zu weniger Terrorismus und mehr Sicherheit beitragen. Dies ist bei den vorliegenden Gesetzen – dem „Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ sowie dem „Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ – aus meiner Sicht v.a. aus drei Gründen nicht ausreichend gewährleistet:

1. Schnelligkeit statt Sorgfalt:
Brauchen wir tatsächlich gesetzliche Verschärfungen oder war möglicherweise die Anwendung der vorliegenden gesetzlichen Möglichkeiten unzureichend? Diese Fragen sind meiner Ansicht nach nicht abschließend beantwortet. Denn statt sich die notwendige Zeit für eine gründliche Analyse zu nehmen, wurden sehr schnell eine Fülle von gesetzlichen Maßnahmen zusammengestellt, die jede für sich eine ausführliche politische und gesellschaftliche Diskussion benötigt hätten. Mehr Sicherheit können wir aber nur schaffen, wenn wir die Hintergründe von Anschlägen ehrlich benennen und die tatsächlichen Ursachen für solche Taten bekämpfen.

2. Populismus statt Haltung:
Verschärfungen im Asyl- und Migrationsrecht halte ich für die falsche Antwort auf terroristische Anschläge wie in Solingen, denn sie suggerieren Zusammenhänge, die es nachweislich nicht gibt: Migration ist nicht die Ursache von Anschlägen. Die asyl- und migrationspolitischen Verschärfungen tragen daher in keiner Weise zu mehr Sicherheit bei, sondern bedienen in erster Linie rechtsextreme Narrative. Das halte ich für brandgefährlich. Viele Unschuldige werden zudem für terroristische Taten einzelner Radikalisierter in Mithaftung genommen und unter Generalverdacht gestellt. Dies trägt weiter zu einer Spaltung der Gesellschaft bei.

3. Härte statt Menschlichkeit:
Bereits jetzt gibt es für abgelehnte Dublin-Fälle, für die eine Abschiebeanordnung vorliegt, stark eingeschränkte Sozialleistungen. Das Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems sieht nun in bestimmten Fällen den vollständigen Ausschluss von Sozialleistungen vor. Die betroffenen Personen wären somit der Obdachlosigkeit ausgesetzt und könnten nur noch im Rahmen der ordnungsrechtlichen Unterbringung über Nacht untergebracht werden. Jegliche Art von vollständigem Leistungsentzug ist mit meinem Anspruch an eine menschenwürdige Politik grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Ich bin überzeugt, dass wir den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nur mit Menschlichkeit erreichen können.

Es gibt aber durchaus auch Gründe, die aus meiner Sicht für die Zustimmung zu den beiden Gesetzen sprechen:

1. Verbesserungen im parlamentarischen Verfahren
Es war richtig, sich als Parlament den notwendigen Raum zu nehmen, um das Gesetzespaket gründlich zu überprüfen und in wichtigen Punkten zu verbessern. Dazu haben insbesondere die Sachverständigenanhörung, die Detailarbeit versierter Kolleg*innen und die intensiven Verhandlungen beigetragen. Auch die öffentliche Diskussion und die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Eingaben haben bei der Überarbeitung der Gesetzesentwürfe geholfen. Ich danke den zuständigen Kolleg*innen für ihren großen persönlichen Einsatz bei den Beratungen, bei denen einige wichtige Verbesserungen erzielt werden konnten.

So haben wir mit den Koalitionspartnern die Regelungen zu den biometrischen Befugnissen sowie der Datenanalyse und Weiterverarbeitung von Daten im BKA-Gesetz (BKAG), im Bundespolizeigesetz (BPolG), in der Strafprozessordnung (StPO) und dem Asylgesetz (AsylG), auch als Reaktion auf die in der Anhörung angesprochenen Bedenken sowie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 2024, angepasst und geändert. Die Eingriffsschwelle wird von den schweren Straftaten auf die besonders schweren Straftaten erhöht. Der Adressatenkreis wird weiter eingeschränkt. Maßnahmen gegen Zeugen und nichtverantwortliche Personen sind ausgeschlossen.

Bei den Leistungsausschlüssen für Dublin-Fälle haben wir für die gesetzliche Klarstellung gesorgt, dass ein Leistungsausschluss nur dann angeordnet werden kann, wenn nach der Feststellung des BAMF die Ausreise „rechtlich und tatsächlich“ möglich ist und keine Hürden für die Rückkehr bestehen, die nicht in der Verantwortung der Geflüchteten liegen. Ich teile die Hoffnung, dass sich damit die zunächst befürchtete Obdachlosigkeit und Verelendung der betreffenden Geflüchteten weitgehend verhindern lässt. Ob dies in der Praxis tatsächlich der Fall ist, muss überprüft werden.

2. Entschließungsanträge als notwendige Ergänzung
Wir müssen zeigen, dass wir die Gefahren von Extremismus jeglicher Art ernst nehmen und entsprechend Maßnahmen einsetzen und ausbauen, die präventive Wirkung haben, Radikalisierung vorbeugen, Integrationsarbeit leisten und demokratische Werte vermitteln. Dies leisten die vorliegenden Entschließungsanträge und stellen somit eine notwendige Ergänzung der vorliegenden Gesetze des Sicherheitspakets dar. Ein Nationales Präventionsprogramm, mehr politische Bildungsarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung sowie die Absicherung einer wirkungsvollen Integrationsarbeit sind wichtige Maßnahmen, die wir jetzt von der Bundesregierung erwarten.

3. Zuspruch aus Kommunen und Ländern
Auch wenn ich die vorliegenden Gesetze nicht für eine adäquate Antwort auf den Terroranschlag von Solingen halte, so hat es doch in den vergangenen Wochen Zuspruch aus vielen – auch SPD-regierten – Bundesländern gegeben. Auch Bürgermeister und Kommunalpolitiker sind auf mich zugekommen und haben um meine Unterstützung für das Gesetzespaket gebeten, weil sie sich davon Verbesserungen der Lage vor Ort in den Kommunen erhoffen.

Mit Blick auf die Verantwortung auch für die gesamtpolitische Lage habe ich mich daher entschieden, den Gesetzen trotz meiner grundsätzlichen Kritik zuzustimmen.

Berlin, 18.10.2024